Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum….
Während ich diesen Blogbeitrag schreibe, ärgere ich mich über die mangelnde Kommunikation unserer Hausverwaltung, die mir einmal mehr mühsame und unnütze Arbeit beschert – als ob ich nichts Besseres zu tun hätte!
Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion. In unserer Reaktion liegen unsere Entwicklung und unsere Freiheit.
(Viktor Frankl)
Schön gesagt, aber mein inneres Alarmsystem interessiert sich nicht für Aphorismen, wenn der Alltag aus dem Ruder zu laufen droht. Dabei sollte es doch ein Artikel zum Thema „Achtsamkeit“ werden und nicht eine Abhandlung zu den Auswirkungen von mangelnder Kommunikation. Also: tief durchatmen, spüren wie mein Puls pocht, die ärgerlichen Gedanken und die innere Schimpftirade mit einem Schmunzeln betrachten und mich auf das konzentrieren, was mir am Herzen liegt. So habe ich es in meiner Weiterbildung als Trainerin für Mindfulness in Organisationen gelernt. Nur: funktioniert das auch im Alltag oder ist es lediglich eine wohltuende Beschäftigung an ruhigen Abenden auf dem Sitzkissen?
Was ist mit Achtsamkeit gemeint?
Die Definition von Esther und Johannes Narbeshuber bringt es gut auf den Punkt, worum es bei der Achtsamkeit im Wesentlichen geht:
Im Alltag ist unser Geist permanent mit Gedanken beschäftigt, die sich auf die Vergangenheit beziehen (Wie war das genau als ich…, Wie hat X das gemeint mit ihrer Bemerkung….) oder auf die Zukunft richten (Ich darf nicht vergessen….; Wie mache ich das denn, wenn…). Nicht selten sind diese Gedanken von einer ängstlichen oder ärgerlichen Hintergrundmusik begleitet. Wenn der innere Druck steigt, verdichtet sich unser Gedankenstrom zu einem eigentlichen Gedankenkarussell, das sich rasch verselbständigt und unsere Aufmerksamkeit vom gegenwärtigen Moment abzieht. In der Folge verbringen wir einen Grossteil unserer Zeit im Autopilot-Modus.
Insbesondere die gleichzeitige Beschäftigung mit verschiedenen Aufgaben (Multitasking) oder das ständige Switchen zwischen verschiedenen Aufgaben führt dazu, dass wir uns im (Arbeits-) Alltag abhanden kommen und als eine Art ferngesteuerte Kopffüssler durch den Tag hetzen. In der Fachsprache heisst das Phänomen Dissoziation. Das heisst, dass der Kontakt zwischen unserem kognitiven und unserem somatischen System unterbrochen wird.
Dialog zwischen den Systemebenen
Wir alle kennen die meist unliebsamen Botschaften, die uns unser somatisches System sendet, wenn es sich vom kognitiven System übergangen fühlt. Bei den einen sind es die bekannten Kopf- oder Rückenschmerzen, bei den anderen streikt die Verdauung oder der dringend benötigte Schlaf will sich nicht einstellen. Wir sind uns gewohnt, solche Botschaften zu überhören, um weiter funktionieren zu können, bis das somatische System irgendwann härteres Geschütz auffährt, um sich Gehör zu verschaffen. Wir nennen das Selbstdisziplin und die hat ja auch ihre Berechtigung. Nur: Mit der Zeit wird der dissoziative Zustand chronisch und wir nehmen uns kaum mehr wahr.
Der Gegenmechanismus zur Dissoziation heisst Integration. Der Dialog zwischen Denken und Wollen kann wieder in Gang kommen, in dem wir unsere Aufmerksamkeit wohlwollend und wertfrei auf unsere Körper- und Sinneswahrnehmungen richten: „Was ist, darf sein.“
In diesem Integrationsprozess kann uns die Achtsamkeitspraxis unterstützen. Sie zeigt eine subtile Wirkung in der Art, wie wir innerlich auf anspruchsvolle Situation reagieren, wie wir für uns selber sorgen, wenn es zu viel wird und wie wir bewusster entscheiden, wo unsere Prioritäten liegen. Das sind unter anderem auch die Effekte, die von der aktuellen neurobiologischen Forschung belegt werden.
Stellenwert für unsere Beratungstätigkeit
Implizit hat das Thema Achtsamkeit schon seit Langem eine hohe Bedeutung für unsere Beratungspraxis. Ein Coaching, eine Teamberatung oder eine Mediation wären für uns nicht denkbar ohne ein hohes Mass an Achtsamkeit.
Im Rahmen unserer Concentria Teamretraite haben wir uns Gedanken gemacht, ob und in welcher Form wir das Wissen und die Erfahrung zum Thema Mindfulness in Organisationen und Mindful Leadership explizit zugänglich machen wollen und können. Ein erstes Ergebnis daraus ist dieser Blogbeitrag. Darüber hinaus laden wir Sie am 22. Oktober 2019 zu unserem nächsten Feierabendgespräch zum Thema Mindful Leadership: Mehr als „pimp the hamster“? ein. Es würde uns sehr freuen, an diesem Anlass mit Ihnen ins Gespräch zu kommen.
Übrigens….
Während ich diesen Blogbeitrag geschrieben habe, ist mir eine Idee gekommen, wie das eingangs beschriebene Problem mit der Hausverwaltung (mindestens vorübergehend) gelöst werden kann und es hat funktioniert. Ich bin sicher, dass mir diese Idee mit Tunnelblick und innerer Schimpftirade nicht in den Sinn gekommen wäre. Gleichzeitig weiss ich, dass das nächste Problem nicht lange auf sich warten lässt. Aber Gottseidank gibt es ja einen Raum zwischen Reiz und Reaktion….
Literaturempfehlungen
Esther und Johannes Narbeshuber; Mindful Leader; Barth Verlag 2019
Janice Marturana; Mindful Leadership; arbor Verlag 2015
Ulrich Ott; Meditation für Skeptiker; Droemer Verlag 2015
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