Widerstand zwecklos!
Als ich das Buch von Andreas Knuf «Widerstand zwecklos!» in den Händen hielt, hat sich erstmal mein eigener Widerstand geregt: Wieso soll Widerstand zwecklos sein? Widerstand hat doch – vor allem im politischen Sinn – eine enorm wichtige Funktion! Und trotzdem hat mich das Buch interessiert und so habe ich es nicht nur gelesen, sondern es hat mich in einem Mass zum Nachdenken angeregt, dass ich ein paar dieser Gedanken mit Ihnen teilen möchte.
Vorweg: Wenn Andreas Knuf von Widerstand spricht, dann meint er nicht Widerstand im politischen Sinn, sondern im psychologischen Sinn. Das Gegenteil von Widerstand wäre dann Annahme und die entspricht laut Knuf so gar nicht unserem Zeitgeist. Weshalb wir uns mit der Annahme so schwer tun und unsere Energie selbst dann im Widerstand verbrennen, wenn eine Situation offensichtlich nicht veränderbar ist, erläutert er anhand folgender These:
Wir leben in einer Kultur der Nicht – Annahme
Selbstoptimierung, Anspruchsdenken, Machbarkeitswahn und Kontrollillusionen sind in unserer Gesellschaft so selbstverständliche Bestandteile unseres Denkens, dass es uns in der Regel schon gar nicht mehr auffällt. Wenn in unserem Leben dann irgendetwas eintrifft, das nicht unseren Erwartungen entspricht, neigen wir dazu, diesen unerwünschten Umstand mit all unserer psychischen Energie abzulehnen und ihm mit innerem Widerstand zu begegnen. Bei den grossen Lebensthemen wie Krankheit, Verlust von Angehörigen oder der Arbeitsstelle ist dieser Widerstand als Schutzfunktion unserer Psyche durchaus nachvollziehbar. Wir reagieren aber nicht selten mit einem vergleichbaren Aufgebot an innerem Widerstand, wenn sich das Leben im Kleinen nicht an unsere Pläne hält: Dauerregen in den Ferien, das Einfangen einer Grippe vor einem wichtigen Termin oder auch nur das vergessene Lob unserer Vorgesetzten.
Die Nichtannahme hat ihren Preis!
Nun weiss man unterdessen aus der Resilienzforschung, dass Annahme oder Akzeptanz ein wesentlicher Faktor für unsere psychische Widerstandsfähigkeit ist.
In der Folge geht Knuf davon aus, dass unsere verbreitete Kultur der Nichtannahme einen wesentlichen Beitrag dazu leistet, dass psychische Erkrankungen im Zusammenhang mit chronischem Stress und Erschöpfung deutlich zunehmen. Vor diesem Hintergrund lohnt es sich, sich vertiefter mit der Annahme zu beschäftigen.
Was ist mit Annahme gemeint?
Andreas Knuf definiert Annahme als Bereitschaft, das zu nehmen, was gegeben ist. Nicht weil wir es gut finden, sondern einfach weil es gegeben ist:
- Ereignisse und Zumutungen im Aussen
- Reaktionen und Gefühle im Innen
Der Hintergrund seiner Definition bildet unter anderem die folgende, aus dem Buddhismus stammende Formel:
«Leid = Schmerz x Widerstand»
In dieser Formel steht Schmerz als Sammelbegriff für sämtliche unerwünschten Gefühle und Widerstand für die Nichtannahme dieser Gefühle. Leid vervielfacht sich somit in dem Masse, wie wir unserem Schmerz mit Widerstand begegnen. Deshalb ist das Üben von Annahme im hier definierten Sinn ein Kern der achtsamkeitsbasierten Verfahren zur Stressreduktion (zum Beispiel mindful based stress reduction).
Annahme als Prozess verstehen
Nun ist Annahme aber nicht etwas, das wir mit unserem Willen allein bewerkstelligen können: Ich will das jetzt annehmen und zwar sofort! Es ist eher als Prozess zu verstehen, der viel Ähnlichkeit mit einem Trauerprozess oder den Phasen im Veränderungsprozess darstellt.
Auch die Beratung kann Annahme nicht «machen». Sie kann aber einen Beitrag leisten, damit die Phasen zur Annahme durchlebt werden können.
Annahme als Voraussetzung für kluges Handeln
Oft wird Annahme mit Tatenlosigkeit verwechselt. Andreas Knuf widerspricht dieser Vorstellung in aller Deutlichkeit und zeigt auf, dass uns erst die Annahme zu einem klugen, weil umsichtigen Handeln befähigt. Wenn unser Handeln aus dem Widerstand genährt ist, neigen wir zu einem blinden Aktionismus: Wir tun alles, damit sich das abwenden lässt, was wir nicht wahrhaben wollen. In einer Haltung der Annahme hingegen, sehen wir die Gegebenheiten in all ihren Facetten. Wir können unser Handeln in Anerkennung des Gegebenen abwägen und uns bewusst für oder gegen eine Handlung entscheiden.
Bezug zur Beratungspraxis
Gerade im Einzelcoaching berichten KundInnen nicht selten von Ereignissen im Aussen und/oder Reaktionen im Inneren, denen sie mit enormem Widerstand begegnen:
- Bei der Beförderung übergangen werden
- Vorgesetzte verhalten sich nicht den eigenen Erwartungen entsprechend
- Zeichen für die Grenzen der eigenen Belastbarkeit werden abgewehrt
- ….
In all diesen Situationen ist der innere Widerstand verständlich und eine Aufforderung zur Annahme wäre wenig hilfreich. Zielführender ist eine neugierige Beobachtung des eigenen Widerstandes:
- Worauf bezieht sich mein Widerstand eigentlich genau?
- Wie zeigt sich mein Widerstand im Erleben und im Verhalten?
- Ist mein Widerstand konstant oder verändert er sich? Wie und in welchen Situationen?
Allein die forschende Beobachtung verändert in der Regel bereits etwas im Widerstandserleben. Ich kann nur etwas wertfrei beobachten, von dem ich anerkenne, dass es da ist und damit ist ein erster Schritt in Richtung Annahme bereits getan. Die meisten KundInnen wissen nämlich sehr wohl, dass ihr Widerstand zwecklos ist und erzeugen so einen Widerstand gegen ihren Widerstand: «Ich sollte doch jetzt endlich in der Lage sein, zu akzeptieren, dass….!» Und weil sich die Katze hier endgültig in den Schwanz beisst, ist dringend davon abzuraten, unsere KundInnen zu früh von der Wichtigkeit der Annahme überzeugen zu wollen. Da käme dann zum Widerstand gegenüber dem Widerstand noch ein Widerstand gegenüber der Beratung dazu, über den wir uns nicht zu wundern bräuchten.
In der Folge ist eine annehmende Haltung der BeraterIn – auch gegenüber dem Widerstand der KundIn – unabdingbare Voraussetzung, um Menschen im Prozess der Annahme zu unterstützen. Und allein schon deshalb lohnt sich die Lektüre von Andreas Knuf!
Literatur:
Andreas Knuf; Widerstand zwecklos; Kösel Verlag 2019
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