Her mit den Konflikten!
Heisse und kalte Konflikte
Beklemmendes Schweigen und das Vermeiden jeglichen Blickkontaktes unter den Teammitgliedern folgen auf die Frage, worum es in dieser Beratung gehen soll. Die Temperatur sinkt nahe dem Gefrierpunkt und energetisch breitet sich eine lähmende Leere aus. In den Gesichtern der Teamitglieder spiegelt sich diffuse Angst und Ratlosigkeit. Die Körperhaltung der Beteiligten lässt vermuten, dass hier viel dafür getan würde, das «worum es eigentlich geht» zu umgehen und zu vermeiden.
Solche Szenen sind keine Ausnahmen, sondern eher die Regel, wenn es um die Bearbeitung von sogenannt kalten Konflikten in Teams und Organisationen geht. Glasl und Ballreich unterscheiden Konfliktformen unter anderem in Bezug auf die Temperatur, in der die Konflikte ausgetragen werden:
Merkmale von heissen Konflikten | Merkmale von kalten Konflikten |
Parteien suchen den Streit und die direkte Konfrontation | Parteien vermeiden den Streit und die direkte Konfrontation |
Streitthemen werden hoch gekocht | Streitthemen werden umgangen |
Gegenseitige Vorwürfe werden wortstark und bisweilen dramatisch vorgetragen | Gegenseitige Vorwürfe werden angedeutet, aber nicht direkt benannt |
Parteien wollen überzeugen und gewinnen, sie sind von der Richtigkeit ihrer Position überzeugt | Parteien wirken verunsichert, ohnmächtig und ratlos, häufig fühlen sie sich der Gegenpartei moralisch überlegen |
Parteien agieren spontan, aktionsorientiert und impulsiv | Parteien agieren berechnend, die Gegner werden mit konsequentem Ignorieren bestraft |
Regeln und Prozeduren werden als hemmend über Bord geworfen | Regeln und Prozeduren werden als Waffe und/oder als Schutzschild eingesetzt |
Selbstverständlich gibt es in der Praxis Mischformen der beiden Austragungsformen. Gleichwohl ist in den meisten Teams und Organisationen eine Tendenz zur einen oder anderen Austragsform erkennbar. Etwas verallgemeinernd kann festgestellt werden, dass konfliktscheue und stark konfliktvermeidende Team- und Organisationskulturen eher zu kalten Austragungsformen führen. Und aufgrund unserer persönlichen Beratungserfahrung wagen wir zu behaupten, dass in sozialen, pädagogischen und kirchlichen Arbeitsfeldern eine konfliktvermeidende Kultur ebenso verbreitet ist, wie ein hoher ethischer Selbstanspruch. Oliver Martin geht in einem sehr aufschlussreichen Artikel der Frage nach, wie die beiden Kulturmerkmale zueinander in Beziehung stehen und sich gegenseitig verstärken. Als Fazit seiner Überlegungen formuliert er – gestützt auf seine eigene Beratungserfahrung – folgende Thesen:
- Werteorientierte Organisationen sind tendenziell nur vermindert fähig, Konflikte organisationsintern konstruktiv auszutragen.
- Sie neigen zu einem defensiven und stark unterkühlten Umgang mit Konflikten.
Als Folgen eines kalten Konfliktklimas beschreibt Martin3:
- Verlust der Innovationskraft: Innovation braucht Auseinandersetzung. Nur dort, wo verschiedene Standpunkte und persönliche Bedürfnisse aufeinander prallen dürfen, entsteht die für die Innovation notwendige Reibungshitze. Es reicht nicht aus, ausschliesslich abstrakte Diskurse über die grossen Themen zu führen. Gerade im Detail, bei der täglichen Zusammenarbeit, beim Ausführen von Projekten, beim Sammeln von Lösungsideen ist Innovation und damit Auseinandersetzung gefragt.
- Gefahr der verdeckten Eskalation: Kalte Konflikte werden in der Regel viel später erkannt als heisse. Deswegen werden sie auch nicht angegangen, nicht behandelt. Dennoch können diese kalten Konflikte weiter eskalieren, schlimmer werden, bis sie sich derart blockierend auswirken, dass die Arbeitsfähigkeit einzelner Personen oder ganzer Teile der Organisation massiv eingeschränkt ist. Sind Konflikte aber so weit eskaliert, dauert deren Behandlung sehr lange und beansprucht sehr viel Energie und Ressourcen.
- Entwicklungsblockaden: Organisationen mit kalten Konflikten sind unfähig, sich organisch zu entwickeln. Die nicht thematisierten Konflikte führen zu Erstarrung, zum Festklammern an Regeln und Prozeduren und verunsichern die involvierten Menschen dermassen, dass Veränderungsprozesse massiv erschwert oder gar verunmöglicht werden.
- Innerliche Emigration der Mitarbeitenden: Mitarbeitende von Organisationen mit kaltem Konfliktklima verschliessen sich zunehmend gegen aussen. Sie geben die Hoffnung auf positive Veränderungen auf, werden zynisch und kümmern sich vor allem um ihre eigenen Belange. Dies verhindert Teamwork ebenso wie es Gartenzaun-Denken fördert.
- Krankenstand und Burnout: Kalte Konflikte machen Menschen mit der Zeit krank. Nebst anderen Faktoren, auf die ich hier nicht näher eingehen will, sind kalte Konflikte massgeblich an Burnouts beteiligt. Mit der Zeit kann die Organisation durch kollektives Burnout gelähmt sein.
Als Team oder Organisation konfliktfester werden
Was ist mit Konfliktfestigkeit in Teams und Organisationen gemeint? Glasl4 unterscheidet zwischen Konfliktfähigkeit des Individuums und Konfliktfestigkeit der Organisation:
Konfliktfähigkeit
Unter Konfliktfähigkeit beim einzelnen Menschen verstehe ich, die Wahrnehmung von Konflikt-phänomenen in mir selbst und in meiner Umgebung zu schärfen, um so Konflikte möglichst früh zu erkennen, die Konfliktmechanismen zu kennen, Methoden anwenden zu können, die einem helfen, seine Anliegen und Positionen so vorzubringen, dass ein Konflikt nicht eskalieren muss, und die helfen, Konfliktsituationen zu klären. Darüber hinaus heisst dies: Ein konfliktfähiger Mensch ist in der Lage, seine Gefühle und Bedürfnisse wahrzunehmen, zu formulieren und dafür einzustehen, ohne dies mit verbaler Gewalt, im Sinne eines Vorwurfs tun zu müssen.
Konfliktfestigkeit
Konfliktfeste Organisationen sind in der Lage, Differenzen, Spannungen und Reibungen konstruktiv zu bearbeiten. Sie fördern ein tendenziell warmes und offenes Konfliktklima, indem sie unterschiedliche Standpunkte als legitim zulassen, unterschwellige Spannungen ansprechen und in schwierigen Situationen nicht den Kopf in den Sand stecken, sondern den Stier bei den Hörnern packen. Konkret führen solche Organisationen bspw. Anlaufstellen für Konflikte, interne Schlichtungspersonen und Konfliktregulations-Prozeduren ein. Das heisst, diese Organisationen setzen sich sehr bewusst mit der Konflikt-Thematik auseinander und gehen sie offensiv an.
Bleibt die Frage offen, wie Teams und Organisationen ihre Konfliktfestigkeit konkret verbessern können. Um eine offene und proaktive Konfliktkultur zu entwickeln, braucht es unserer Erfahrung nach sowohl ein Lernen auf der individuellen Ebene im Sinne der oben beschriebenen Konfliktfähigkeit als auch ein organisationales Lernen im Sinne zunehmender Konfliktfestigkeit.
Rolle der Führung
Eine wichtige Voraussetzung sind sicher Führungspersonen, die Konflikte als normalen Bestandteil der Zusammenarbeit betrachten und sie unverkrampft und lösungsorientiert angehen. Konfliktscheue und konfliktvermeidende Führungspersonen leisten in der Regel ungewollt einen wesentlichen Beitrag dazu, dass Konflikte kalt ausgetragen werden.
Bei der konstruktiv-kritischen Auseinandersetzung mit der eigenen, oft wenig konfliktfreudigen Teamkultur braucht es unserer Erfahrung nach viel Fingerspitzengefühl. Eine forschende Haltung im Sinne von offen, fragend und nicht wertend bewahrt davor, das, was verändert werden soll, ungewollt zu zementieren. In unserer Praxis hat sich der Begriff der «ethnologischen Haltung» bewährt. Ethnolog/innen sind darauf spezialisiert, Kulturen zu erforschen und zu verstehen, ohne sie moralisch zu bewerten. Diese Haltung begünstigt das Erforschen der eigenen kulturellen Ausprägungen und das Offenlegen von verdeckt wirksamen Glaubenssätzen. Auf dieser Grundlage können die Beteiligten herausschälen, wovon sie sich verabschieden wollen und wohin sie sich schrittweise bewegen wollen (vgl. dazu Glasl ). In vielen Teams werteorientierter Organisationen wird mit Kommunikationsregeln operiert. Was in guter Absicht entstanden ist, erweist sich in der Bearbeitung von kalten Konflikten manchmal als hinderlich. Starre und auferlegte Kommunikationsregeln können die Diskrepanz zwischen Erwartetem und Erlebtem in einem Mass verstärken, das die Beteiligten noch mehr dazu verleitet, Konflikten auszuweichen oder sie unter den Teppich zu kehren (Wir doch nicht…, aber sicher nicht bei uns….! Wo wir doch soviel über soziale Prozesse wissen…., wo doch genau beschrieben ist, wie das bei uns sein sollte….“).
Als hilfreich erachten wir es, wenn Teammitglieder in einem gemeinsamen Prozess lernen, Dissonanzen und Spannungen zu erkennen, zu benennen und die dahinter stehenden Anliegen offen und direkt zu verhandeln.
Beitrag von Beratung
Beratung kann auf verschiedenen Ebenen und in unterschiedlicher Form einen Beitrag dazu leisten, dass Teams und Organisationen lernen, ihre Konflikte offen und lösungsorientiert auszutragen:
- Ein Führungscoaching kann Führungspersonen darin unterstützen, selber konfliktfähiger zu werden und Verfahren zu entwickeln, wie Konflikte erkannt und bearbeiten werden können.
- Eine Teamentwicklung kann Teams darin unterstützen, ihre Konfliktkultur zu erforschen und schrittweise weiter zu entwickeln.
- Und wenn bestehende Konflikte von den Beteiligten nicht mehr selber gelöst werden können, kann eine Konfliktberatung oder eine Mediation Unterstützung bei der Bewältigung und bei der Lösungssuche bieten.
Wenn die Beteiligten bereit sind, sich auf den Prozess einzulassen, kann eine Konfliktberatung oder eine Mediation einen sehr konkreten Beitrag dazu leisten, dass die Beteiligten konfliktfähiger werden und die Organisation Lernschritte in Richtung Konfliktfestigkeit unternimmt. Denn eines lässt sich angesichts der Komplexität heutiger Organisationen mit grosser Wahrscheinlichkeit voraussagen: Nach dem Konflikt ist vor dem Konflikt!
In diesem Sinne wünschen wir Ihnen einen mutigen Umgang mit dem Thema, frei nach dem Motto: Her mit den Konflikten!
Literatur zum Thema
- Ballreich, R.; Glasl, F.; Konfliktmanagement in Organisationen; Concadora Verlag, Stuttgart; 2011
- Glasl, F.; Selbsthilfe in Konflikten; Verlag Paul Haupt, Bern/Stuttgart; 2003
- Martin, O.; Konfliktfähigkeit und –festigkeit in werteorientierten Organisationen; Artikel von Trigon Entwicklungsberatung; Bern; 2005
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