Die Ambivalenz mit der Agilität
Arbeiten Sie schon agil oder möchten Sie das in nächster Zeit tun? Damit befinden Sie sich in guter Gesellschaft. Agilität ist in der Managementwelt der Begriff mit der aktuell am steilsten wachsenden Popularitätskurve. Doch da stellt sich gleich eine erste Frage. Wer versteht was unter Agilität? Eine kleine Umfrage im privaten Kreis zeigte eine verblüffende Breite an Definitionen. Trotz der rasanten Verbreitung der Agilität hat die Welle noch längst nicht alle erreicht. Ein guter Moment um inne zu halten und zu prüfen, was es mit der Agilität auf sich hat und welchen Nutzen sie stiften kann.
Blenden wir zurück ins Jahr 2001. Siebzehn Softwareentwickler treffen sich in Snowbird/Utah und diskutieren die Herausforderungen in der Softwareentwicklung. Man arbeitet mit dem Wasserfallmodell. Es ist ein lineares Vorgehen mit aufeinanderfolgenden Arbeitsschritten wie wir es von Bauprojekten her gut kennen. Sie stellen fest, dass sie mit diesem Verfahren zunehmend nicht mehr erfolgreich sind. Zuviel lässt sich nicht planen und vorhersehen.
Die Tagung endet mit der Verabschiedung des «Agilen Manifests» und den dazugehörenden zwölf Prinzipien. Damit ist der Boden für ein iteratives Verfahren in der Softwareentwicklung gelegt. Die Grundidee dahinter ist eine Art rollender Planung, die es ermöglicht während der Entwicklungsarbeit fortlaufend neue Anforderungen, Bedürfnisse und Erkenntnisse zu integrieren. Man arbeitet in wiederkehrenden Schlaufen. Fertige Softwareteile werden regelmässig beim Kunden implementiert. Überhaupt besteht eine enge Zusammenarbeit mit dem Kunden und innerhalb des selbstorganisierten Teams. Aus diesen Ideen wurde SCRUM entwickelt, eine Form des Projektmanagements und der Teamarbeit, die sich inzwischen in Informatikbetrieben bewährt hat.
Hinter der Agilität steht die Erfahrung einer Gruppe von Informatikern, die pragmatisch nach Lösungen gesucht haben, wie sie ihre Arbeitsweise verbessern können. Ihr Manifest fiel auf fruchtbaren Boden. Unternehmen und Organisationen greifen es auf und entwickeln auf dieser Basis agile Arbeitsweisen.
Viele der heutigen Organisationsstrukturen und Führungskonzepte stammen aus Zeiten als der gesellschaftliche, wirtschaftliche und technische Wandel noch weniger schnell und weniger ausgeprägt war. Sie basieren auf der Annahme, dass die Welt grundsätzlich stabil und vorhersehbar sei. Gehen wir davon aus, dass die Welt sich in einem steten Wandel, einem kontinuierlichen Veränderungsprozess befindet, drehen sich die Vorzeichen um. Veränderung ist der Normalfall und Stabilität die Ausnahme. Dies ist ein zentraler Punkt. Unter welcher Prämisse beobachte ich die Umwelt und wie reagiere ich darauf? Strebe ich als Führungsperson Stabilität an oder geht es darum im Fluss der steten Veränderung zu navigieren. Und wie gehe ich mit der Ambivalenz zwischen Stabilität und Flexibilität um?
Agilität ist eine Möglichkeit, um mit den Herausforderungen einer sich stets verändernden Welt einen angemessenen Umgang zu finden. In diesem Zusammenhang wird gerne das Akronym VUCA erwähnt. Es steht für Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität und beschreibt den Zustand unserer Welt. Agilität kann aber auch als Versuch verstanden werden, mehr Sinnhaftigkeit in die Arbeit zu bringen. Die enge Zusammenarbeit in einem kleinen Team, der direkte Austausch mit den Kunden, der Fokus auf ein funktionierendes Produkt oder die Reduktion der Komplexität sind Elemente agiler Arbeitsweisen. Es sind Antworten auf den steten Wandel.
Wenn Sie sich als Leser/-in an dieser Stelle eine klare Definition oder eine eindeutige Beschreibung der agilen Arbeitsweise (bewusst in der Einzahl geschrieben) wünschen, muss ich Sie enttäuschen. Die gibt es für mich nicht! Es lassen sich viele Beispiele gelungener Agilität beobachten. Und bestimmt noch mehr gescheiterte Versuche auf dem Weg zu einer agilen Organisation. Diese Beispiele sind Lerngelegenheiten. Schlussendlich muss jede Organisation ihre eigene Form finden.
Agilität und andere Organisationsformen wie Holocracy, Reinventing Organisations usw. stehen vielerorts (aber längst nicht überall) für eine (sehr) flache Hierarchie und möglichst viel Selbstorganisation. Es wird also unterschieden in Selbstorganisation (= selbstbestimmt) und Organisation (= fremdbestimmt). Meist liegt in dieser Unterscheidung eine Wertung. Die Selbstorganisation kommt sehr positiv weg, während die Fremdbestimmung spontan kritisiert wird. Die Unterscheidung ist kritisch zu betrachten. Alle Organisationen entstehen aus Selbstorganisationsprozessen. Es brauchte Menschen, die sich entschieden haben, eine Organisation genau so und nicht anders zu gestalten wie sie sich heute präsentiert. Statt zu werten, ist es hilfreicher sich zu fragen, was an der bestehenden Organisation ist funktional und was dysfunktional? Was sind die Wirkungen und die (un-)erwünschten Nebenwirkungen unserer Strukturen? Wie erfüllen wir unseren Auftrag optimal? Wann ist Selbstbestimmung effizienter? Welche Qualitäten hat Fremdbestimmung? Das kann gut zur Entscheidung führen, vermehrt agil zu arbeiten. Mehr Teamarbeit und mehr Gestaltungsfreiräume für die Teams, heisst nicht per se, dass alle Hierarchiestufen verschwinden müssen.
Stefan Kühl bezeichnet die Idee einer agilen Organisation als kalten Kaffee und meint, das sei einfach die aktuelle Begriffssau, die durchs globale Managementdorf getrieben werde. Er verweist darauf, dass etwa alle zehn Jahre neue solche Begriffe auftauchen und damit die Erfahrungen aus den vorhergehenden Phasen nicht mehr genutzt würden.
Torsten Groth zeigt in einem Artikel entlang einiger Kriterien, dass «New Work» ein Hype sei, den es kritisch zu betrachten gelte. Wenn Konzepte, wie Agilität zu (vermeintlichen) Normen werden und die Lösung aller Probleme versprechen, wird es problematisch. Denn für viele Organisationen gibt es keine eindeutige Lösung (für ihr Organisationsdesign und auch sonst). Sondern es gilt die bestehenden Widersprüche auszubalancieren. Der geschickte Umgang mit Paradoxien ist eine wichtige Aufgabe für Führungskräfte in einer VUCA-Welt. Es geht beispielsweise darum für die Mitarbeitenden Sicherheit zu schaffen, aber nicht zwingend die erwartete Stabilität. Agile Führung schafft eine stabile Flexibilität oder eine flexible Stabilität und sorgt so auf eine neue Art für Sicherheit.
Verstehen wir die Kerngedanken aus dem agilen Manifest als Haltungen in der Führung und in der Gestaltung von Organisationen, haben wir eine wunderbare Farbpalette, um unsere eigene Agilität zu gestalten.
Mehr zu agiler Führung gibt es in meinem Buch. Es erscheint im Frühling 2019 unter dem Titel «Schulen agil gestalten, entwickeln, führen» im Carl-Auer Verlag.
Wer sich schon früher für das Thema interessiert, ist herzlich eingeladen zum Feierabendgespräch vom 31.1.19 um 18.30 Uhr in den Räumen der Concentria.
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