«Aus Erfahrung kann ich sagen, ….»
Nutzen Sie den Satz im Titel in Ihrem Alltag auch? Mit zunehmender beruflicher Erfahrung geht er mir immer leichter über die Lippen. Doch seit der Lektüre eines Buches von James March beisse ich mir fast ebenso häufig auf die Zunge und verzichte darauf. Doch alles der Reihe nach.
Sie sind beruflich erfolgreich unterwegs und durften in Ihrem Feld schon viel lernen? Sie haben an unzähligen Beispielen gesehen, was für Sie funktioniert und was nicht? Diese Kompetenzen nutzen Sie heute sehr zielgerichtet. Deshalb bekommen Sie für Ihre Arbeit positive Rückmeldungen. Das bestärkt Sie darin, das Richtige zu tun. Und so kommt es, dass Sie aus Erfahrung sagen können, was in einer bestimmten Situation das Vorgehen der Wahl ist. Für eine Ärztin ist es beispielsweise ein Behandlungskonzept, in der Schule die Art der Unterrichtsgestaltung, bei einem Handwerker der Umgang mit anspruchsvollen Materialien oder bei einer Führungskraft die Art wie sie Mitarbeitergespräche führt.
Gemeinsam ist allen: sie haben eine Methode erlernt, über die Jahre häufig angewandt und verfeinert. Und sie sind in vielen Fällen erfolgreich damit und werden von ihren Patient:innen, Schüler:innen, Kund:innen oder den Mitarbeitenden dafür geschätzt. Sie haben also gute Gründe nichts zu verändern. Der Erfolg gibt Ihnen recht. Das führt dazu, dass in Ihrer Organisation andere Menschen die gleiche Methode ebenso gerne und häufig anwenden. Erfahrene Berufsleute gebe sie neuen und jüngeren Mitarbeitenden weiter.
An dieser Stelle kommt nun James March ins Spiel und fährt Ihnen in die Parade. In seinem Buch «Die zwei Seiten der Erfahrung» (2016) beschreibt er unter anderem die andere Seite der Medaille. Ich nenne sie in meinen Worten die Erfahrungsfalle. Darum geht es:
Wir betrachten eine Methode A für die Bearbeitung einer bestimmten Aufgabe. A ist die Methode, die Sie seit langem anwenden und viel Erfahrung darin haben. Was Sie erfolgreich macht, ist einerseits das Potenzial dieser Methode und eben Ihre langjährige Übung darin. In der Kombination von Potenzial und Übung entsteht die hohe Wirkung Ihres Vorgehens. Im gewählten Beispiel ist das Potenzial der Methode A: 4. Durch ihre langjährige Übung kommt ein Wert von 3 hinzu. Die Wirkung ist also 7 von 10. Diese Zahlen sind keine absoluten Werte, sondern sollen helfen, etwas zu veranschaulichen.
Nun taucht eine neue Methode B für die gleiche Aufgaben auf. Sie weist ein höheres Potenzial (z.B. 5) auf als A. Wenn Sie anfangen mit der neuen Methode zu arbeiten, haben sie naturgemäss noch keine Übung. Es kann gut sein, dass Sie bei der Einführung einer neuen Methode anfänglich schlechtere Ergebnisse erzielen, weil Sie noch Fehler machen. Mit mehr Erfahrung werden Sie besser und mit der Zeit übertreffen Sie mit dem neuen Ansatz die schon guten alten Ergebnisse. Aber eben, sicher ist das nicht. Die neue Methode könnte auch ein tieferes Potenzial (z.B. 3) haben. Trotz gleich viel Aufwand und Übung werden sie die Wirkung der bestehenden Methode nicht übertreffen können. Damit stehen wir vor einem Dilemma und vielen Fragen:
- Wie können wir verhindern, dass bessere Methoden wegen der fehlenden Erfahrung / Übung verworfen werden?
- Wie können wir das Potential von neuen Methoden erkunden, ohne vorzeitig gute Erfahrungen über Bord zu werden?
- Was heisst das für die Fehlerkultur in Organisationen?
- Wie gelingt der Spagat zwischen Bestehendem und Neuem, wenn wir nicht mit Sicherheit wissen, was die bessere Wirkung erzielt?
- Wie lange wenden wir eine Methode an, bis wir entscheiden und darauf verzichten, weil sie nicht die Wirkung zeigt, die wir uns erhofft haben?
Ihre Gedanken dazu, weitere Fragen und Lösungsansätze möchte ich mit den Leserinnen und Lesern dieses Blogs diskutieren. Zum einen komme ich gerne per Mail oder persönlich mit Ihnen ins Gespräch. Zum anderen lade ich Sie herzlich zum Feierabendgespräch vom Donnerstag, 26. Januar 2023 um 18.30 Uhr zu diesem Thema ein.
Literaturnachweis:
March, J. (2016): Die zweiten Seiten der Erfahrung. Wie Unternehmen intelligenter werden können. Heidelberg (Carl-Auer)
Selbstführung im Alltag (Online Informationsveranstaltung zum Workshop)
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