«Wertschätzende Konfrontation» in der Führung – Situative Notwendigkeit oder Widerspruch in sich?
Konfrontation ist eine zwiespältige Sache. Einerseits fürchten wir sie, weil sie unangenehm ist für Führung und Mitarbeitende. Andererseits ist sie in bestimmten Situationen unumgänglich, weil nur noch die «klare Ansage» eine Veränderung zu bewirken vermag.
Konfrontation ist nicht so schlecht, wie ihr Ruf;
sie dient der Verdeutlichung von Standpunkten,
wenn Regeln zu ihrer Austragung bestehen.(Richard von Weizsäcker)
Konfrontationen im Alltagsstress und unter Erfolgsdruck laufen rasch Gefahr, abwertend, entwürdigend, verletzend und somit destruktiv zu wirken. Konfrontation in konstruktivem Sinne hingegen können Unterschiede und Spannungen erzeugen, die Entwicklungen auslösen. Der entscheidende Punkt, ob Konfrontationen destruktiv oder konstruktiv wirken, ist die wertschätzende Haltung der Führungsperson und damit verbunden die Art und Weise der Kommunikation.
Was ist dabei zu beachten? Und was bedeuten eigentlich die beiden Begriffe im Kontext der Führung?
Was heisst «Wertschätzung» in der Führung?
«Wertschätzung» bezeichnet eine positive Grundhaltung gegenüber anderen Menschen. Sie meint die vorbehaltlose Akzeptanz der Person und ihrer Würde, selbst wenn deren Verhalten Anlass zu Kritik gibt. Eine wertschätzende Grundhaltung akzeptiert, dass Menschen Fehler machen und baut darauf, dass sie daraus lernen. Respekt, Wohlwollen, Vertrauen, Aufmerksamkeit, Interesse und Toleranz sind persönliche Führungseigenschaften, die als Grundlage für einen wertschätzenden Umgang mit Mitarbeitenden in hohem Masse bedeutsam sind. Untersuchungen belegen deutliche Korrelationen sowohl zwischen «Wertschätzung» und «Selbstwert» als auch zwischen «Wertschätzung» und «Motivation».
Was heisst «Konfrontation» in der Führung?
«Konfrontation» stammt aus dem Lateinischen und bedeutet «Gegenüberstellung». Konfrontation in der Führung meint die eindeutige Haltung und klare Kommunikation der Führungsperson, dass bestimmte Handlungen oder Äusserungen einer Mitarbeiter*in unangemessen oder unvereinbar sind mit Aufgabe und Haltung innerhalb der Organisation. Sie erfordert eine Verhaltensänderung der Mitarbeiter*in. Konfrontationen durch Führungspersonen zeichnen sich per se durch ein hierarchisch asymmetrisches Verhältnis aus. Das daraus resultierende Machtgefälle bringt für die Führungsperson die zusätzliche Verantwortung mit sich, nicht ausschliesslich aus der Quelle der vorhandenen «Positionsmacht» zu schöpfen bzw. zu agieren.
Vier Gelingensfaktoren für «Wertschätzende Konfrontation»
«Vorbehaltlose Akzeptanz der Person und ihrer Würde» bei gleichzeitigem «eindeutigem Benennen von unzulänglichem Verhalten verbunden mit der Erwartung einer Verhaltensänderung» lautet somit die Aufgabe.
Für die zielführende Gestaltung von Konfrontationsgesprächen lassen sich vier Faktoren benennen, die bei reflektierter und sachgemässer Handhabung den Erfolg zwar nicht garantieren, aber die Gelingenswahrscheinlichkeit deutlich erhöhen.
- Haltung – Woran ist Wertschätzung als Haltung erkennbar?
- Legitimation – Auf welchen «Referenzrahmen» bezieht sich der Inhalt der Konfrontation?
- Kommunikation – Was soll ein Konfrontationsgespräch in jedem Fall beinhalten?
- Verantwortung – Wofür bin ich als Führungsperson verantwortlich, wofür nicht?
1. Haltung – Woran ist Wertschätzung als Haltung erkennbar?
Wertschätzung als grundsätzlich positive Haltung gegenüber einem Menschen! So weit so gut, aber doch reichlich unspezifisch. Was heisst es konkret, eine wertschätzende Haltung zu bewahren, wenn die Mitarbeiter*in zum wiederholten Male Abmachungen nicht einhält, hochgradig unprofessionell handelt oder respektlos kommuniziert? Wenn sie schlicht nervt?
Eine wertschätzende Haltung zeigt sich, wenn die Führungsperson – trotz allem – folgenden Aussagen zustimmen und ihr Handeln daran orientieren kann:
- Du bist als Mensch ok. Dein Handeln im angesprochenen Bereich ist nicht ok.
- Selbst wenn wir hierarchisch ungleich sind, begegne ich dir beziehungsmässig auf Augenhöhe.
- Ich erwarte eine Veränderung und ich traue dir zu, dass du sie leisten kannst.
- Du bist mir wichtig und ich möchte dazu beitragen, dass dein Handeln keine negativen Auswirkungen für die Organisation und für dich selber hat.
- Sofern du das möchtest, biete ich dir meine Unterstützung an.
«Tönt einfach, ist aber reichlich unrealistisch!» werden manche sagen. Vielleicht. Man kann sicher auch ohne diese Haltungen konfrontieren, ehrlicherweise dann aber besser ohne den Anspruch, dies wertschätzend zu tun.
2. Legitimation – Auf welchen «Referenzrahmen» bezieht sich der Inhalt der Konfrontation?
Als Grundsatz für die Mehrheit aller Situationen kann gelten: «Konfrontatives Führen erfolgt erst, wenn kooperatives Führen nicht die gewünschte Wirkung zeigt.» Wer wertschätzend konfrontieren will, sollte sich Rechenschaft darüber ablegen, ob die geplante Intervention verhältnismässig und gewissermassen legitimiert ist. Dies ist sie dann, wenn die Erwartungen an die Person aus deklarierten Erwartungen der Organisation oder Profession abgeleitet werden können. Alles andere wäre Führungswillkür.
Folgende Reflexionsfragen können dabei hilfreich sein:
- Verstösst die Mitarbeiter*in mit ihrem Handeln eindeutig gegen deklarierte Qualitätsansprüche ihrer Profession bzw. ihres Auftrages?
- Erfüllt sie durch ihr Handeln ihren Berufsauftrag in relevantem Masse unvollständig?
- Verschafft sie sich durch ihr Handeln deutliche Vorteile gegenüber ihren Arbeitskolleg*innen bzw. entstehen für diese dadurch erhebliche Nachteile?
- Verstösst die Mitarbeiter*in mit ihrem Handeln klar gegen deklarierte Werthaltungen der Organisation oder gegen deren Kultur?
- Missachtet sie wiederholt und/oder in deutlichem Masse grundlegende Ansprüche an den zwischenmenschlichen Umgang, etwa Anstand, Respekt, Freundlichkeit und Toleranz?
Wer in der Führung eine oder mehrere Fragen eindeutig mit ja beantworten kann, hat gute Gründe sich für eine Konfrontation zu entscheiden. Gleichzeitig bringt diese Form der Überprüfung die wertschätzende Haltung gegenüber den Mitarbeitenden zum Ausdruck, weil sie sie vor unangemessenen Konfrontationen zu schützen versucht, nur weil «dem Chef gerade etwas nicht in den Kram passt».
Wer in der Führung eine oder mehrere Fragen eindeutig mit ja beantworten kann, muss andererseits gute Gründe haben, sich gegen eine Konfrontation zu entscheiden.
3. Kommunikation – Was soll ein Konfrontationsgespräch in jedem Fall beinhalten?
Bezüglich gelingender Kommunikation in Konfrontationsgesprächen sind sowohl inhaltliche als auch kommunikationspsychologische Aspekte bedeutsam.
Inhaltlich müssen die Botschaften so eindeutig als möglich formuliert sein und folgende Aspekte beinhalten:
- Beanstandung(en) klar benennen
- Erwartungen für eine Veränderung eindeutig formulieren
- Zeitpunkt benennen, bis wann die Veränderung erwartet wird
- Sichtweise der Mitarbeiter*in erfragen und verstehen wollen
- Unterstützung zur Erreichung des bzw. der Veränderungsziele anbieten
Kommunikationspsychologisch gibt es eine Reihe von hinlänglich bekannten und hilfreichen Grundlagen und Stolpersteinen zu berücksichtigen, die hier im Detail auszuführen den Rahmen sprengen würde. Vielleicht lohnt es sich in diesem Zusammenhang wieder einmal bei Friedemann Schulz von Thun (Authentizität vs Wirkungsbewusstsein), Thomas A. Harris (Ich-Zustände in der Transaktionsanalyse) oder Marshall B. Rosenberg (Gewaltfreie Kommunikation und Führung) nachzulesen, wobei bei letzterem die Besonderheit des asymmetrischen Verhältnisses im Thema berücksichtigt werden muss.
4. Verantwortung – Wofür bin ich als Führungsperson verantwortlich, wofür nicht?
Oft schrecken Führungspersonen vor Konfrontationsgesprächen zurück, weil sie die zu erwartenden Reaktionen der betroffenen Mitarbeitenden aus früheren Erfahrungen kennen oder gerade eben diese nicht abschätzen können. «Was mache ich, wenn er wieder ausrastet?» «Bin ich schuld, wenn sie wieder nächtelang nicht schlafen kann?» «Könnte es sein, dass er morgen krankgeschrieben wird?»
Sicher ist es nicht falsch, sich im Vorfeld Gedanken über die mögliche Reaktion des Gegenübers zu machen. Aber ist es richtig, auf eine notwendige Konfrontation zu verzichten, weil die zu erwartende Reaktion voraussichtlich «schwierig» wird? Ist es fair gegenüber anderen Mitarbeitenden, die in der Personalführung weniger herausfordernd sind?
Zweimal nein. Führungspersonen haben im Rahmen ihrer «Fürsorgepflicht» den Auftrag, für das Wohlergehen der Mitarbeitenden zu sorgen, einerseits indem sie sich gute Rahmenbedingungen und leistbare Arbeitsaufträge einsetzen, andererseits indem sie ihnen in der einleitenden definierten Haltung der Wertschätzung begegnen. Daraus lässt sich jedoch nicht ableiten, auf eine notwendige und «legitimierte» Konfrontation zu verzichten. Manchmal ist sie gerade vor dem Hintergrund der Fürsorgepflicht erforderlich, dann nämlich, wenn andere Mitarbeitende unter dem Verhalten der zu konfrontierenden Person leiden oder das Arbeitsklima beeinträchtigt wird.
Die Führungsperson ist dafür verantwortlich, eine Konfrontation nach bestem Wissen und Können und «nach den Regeln der Kunst» sorgfältig vorzubereiten und durchzuführen. Sie ist somit verantwortlich für ihr Handeln, sie ist aber nicht verantwortlich für die Reaktion der Mitarbeiter*in.
Fazit
«Wertschätzung» und «Konfrontation» in der Führung sind keine Widersprüche. Vielmehr bilden sie ein anspruchsvolles, aber letztlich gestaltbares Spannungsfeld zwischen Aufgaben- und Mitarbeitendenorientierung. Wertschätzende Konfrontation ist «situative Notwendigkeit» und gehört zu den anspruchsvollsten Aufgaben in der Führung. Sie erfordert von der Führungsperson viel Reflexionsfähigkeit, Sorgfalt, Achtsamkeit, kommunikatives Geschick, aber auch Stabilität und innere Gelassenheit. Sie ist manchmal unumgänglich, wenn die Ansprüche nach hoher Qualität und gutem Arbeitsklima nicht nur in Leitbildern beschrieben und in Konzepten wiederholt, sondern im Alltag auch verbindlich eingefordert werden sollen.
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